Heiligt der Zweck die Mittel?

Start-Screen der kina-TV Videos (KOM-IN-Netzwerk) auch für youtube Mitte der 2000er Jahre

Kürzlich fiel mir wieder ein altes Konzept in die Hände. Es ging um eine Art christliches TV-Magazin. Es sollte nicht so abgeklärt professionell sein, wie der Fernsehgottesdienst, sondern auf natürliche, einfache Weise mit lokalem Bezug praktisches christliches Leben veranschaulichen. Ich stelle die qualitativ hervorragenden Fernsehgottesdienste der Öffentlich-Rechtlichen keineswegs in Frage! Aber im nichtkommerziellen Lokalfunk und den Offenen Kanälen gab es nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch ein Publikum, das auf andere Weise ansprechbar war. Und, nachdem der Realplayer schon eine Weile Briefmarkengroße Online-Videos ermöglichte, trat um 2006 YouTube auf den Plan, eine weitere Verbreitungsmöglichkeit - Leider war das kirchliche Interesse an dem Projekt damals nicht besonders groß und es gab wohl auch zu wenige Ressourcen um es zu verwirklichen. Aber für das KOM-IN-Netzwerk begann ich dann doch einige TV-Beiträge, auch auf YouTube, zu veröffentlichen.

Nun, es ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen und es hat sich das Hashtag #DigitaleKirche etabliert. Inzwischen muss man nur noch selten erklären warum Kirche im Digitalen einen Auftrag hat. Kirchliche Online-Angebote finden sich auf nahezu allen, allerdings überwiegend kommerziellen, Plattformen. Auf dem sog. sozialen Netzwerk Facebook gibt es z.B. die Gruppe Kirche und SocialMedia und via WhatsApp werden Gläubige aufgerufen z.B. zum Namenstag der Heiligen persönlichste Informationen an den ethisch fraglichen Konzern zu übermitteln.

Sind die Kirchen nun dabei, sich voll in den digitalen Mainstream zu stürzen? Das Gemeinschaftswerk der evangelischen Publizistik gründet ein Sinnfluenzer-Netz. Die Arbeitsgemeinschaft Jugendevangelisation erstellt einen Christfluencer-Pool. Liest man nach, so geht es aber lediglich um YouTube, Instagram, Twitter, facebook und Co. Gut, es taucht auch mal die Formulierung “…und anderen Anbietern” auf.

Ja, es sind ein paar Jahre vergangen und es hat gedauert, bis Kirche die neuen Medien endlich für sich entdeckt hat. Aber inzwischen hat sich die digitale Welt weiter gedreht und dramatisch verändert! Pioniere des WWW wie z.B. Tim Berners-Lee, sind längst zu Mahnern geworden und entwickeln neue Werkzeuge, um dem skrupellosen Datenkapitalismus wenigstens etwas entgegenzusetzen. Engagierte, die SocialMedia auf hohem Niveau professionell und virtuos zu nutzen wussten, wie. z.B. Michael Blume, verlassen die Mainstream-Plattformen.

In den Kirchen hört man, verständlicher Weise, vom Auftrag der Verkündigung und von Reichweite. Aber findet man Kirche offizell, zumindest nach derzeitigem Kenntnisstand, auf ethischeren, alternativen Netzwerken die eher das Prädikat sozial verdienen? Es heißt man müsse …bei den Menschen sein. Im Umkehrschluss frage ich mich, sind denn die, die aktiv für Gemeinwohl orientierte, digitale Netzwerke eintreten und arbeiten oder diese nutzen keine Menschen? Es geht um Altenativen wie z.B. Pixelfed, Peertube, friendica, Mastodon, Okuna und andere, eben NICHT kommerzielle Angebote. Mir ist derzeit keine offizielle kirchlich-institutionelle Organisation oder Initiative bekannt, die aktiv an digitalen Systemen mitarbeitet, die nach derzeitigem Kenntnisstand wohl einer christlichen Ethik im Digitalen näher sind, als der Kapitalgetriebene und auch mit den persönlichen Daten der Gläubigen bezahlte Mainstream einiger weniger weltweit agierender Datenkonzerne, manche nennen sie GAFA.

Ich möchte betonen, dass ich die Arbeit engagierter Christen im digitalen Mainstream achte und schätze! Aber wie ist das mit dem Nächsten, wenn Sinnfluencer nahezu ausschließlich Systeme nutzen, von denen wir wissen, damit wird die Privatsphäre des Nächsten verletzt? Ich nehme an, die EKD möchte mit der Förderung der Sinnfluencer eine gewisse Vorbildwirkung befördern. Aber was fördert man mit dieser einseitigen Fokussierung auf Dienste von zwei, drei Konzernen wirklich? Heiligt der Zweck die Mittel?

Um auf mein eingangs erwähntes TV-Projekt zurück zu kommen. Damals lautete das Google-Motto noch Don't be evil (Sei nicht böse). Über den Wert eines solchen Mottos lässt sich bestimmt streiten. Vielleicht wäre es aber damals nicht unpassend gewesen, als Christen dort aktiv zu sein. Heute blockieren Datenbewusste Internetnutzer die Domains von Google/YouTube oder versuchen dem Datenhandel beim Video schauen durch Dienste wie invidio.us zu entkommen.

Es geht mir überhaupt nicht darum allgemein zu sagen “das ist böse - das ist gut”. Mir fehlt eine, irgendwie theologische Auseinandersetzung bzw. Klarheit bezüglich der Wahl der Mittel. Ich kann bei gegenwärtiger #DigitalerKirche keine Ausgewogenheit oder Differenzierung erkennen.

Worin besteht unser Auftrag als Kirche? Den Kommerz mit den Daten der Gläubigen zu fördern, oder dem Nächsten beizustehen der unter die Daten-Räuber gefallen ist? Gelingt letzteres mit einer, nach meiner Wahrnehmung, weitgehend kritiklosen Nutzung des digitalen Mainstreams?

Vielleicht fehlt mir aber auch nur der Überblick. Dann antwortet gern auf diesen Toot

Weitere Informationen:

Wikipedia: Tim Berners-Lee - Contract for the Web

Golem: Landes-Antisemitismusbeauftragter verlässt Facebook

Welt: GAFA

Ev. Sinnfluencer

Es ist wenig, aber die Hoffnung stirbt zuletzt:

Cursor_: FLOSS-Kultur und Theologische Praxis

Eine mutmachende Initiative engagierter Christen: LibreChurch

This article was updated on January 17, 2022