Blackout

Radio Live-Übertragung via old style ISDN-Codec

Tagelang war Stille im Äther. Der Sendemast war weithin sichtbar, aber im UKW-Radio gab es nur Rauschen. Die Liberalisierung der UKW-Verbreitung begann 2015 mit einem krotesken Kapitel. War es nur eine ungeklärte Rechtslage die dazu führte, dass es statt eines geplanten UKW-Frequenzwechsels für das Bürgerradio SRB einen mehrtägigen Blackout gab?

Was war geschehen?

Der Offene Fernsehkanal Saalfeld war per Gesetz an die Verbreitung via Kabelnetz gebunden. Damit waren die Empfangsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Durch die Umwandlung des TV-Senders in Radio SRBsollte die Reichweite erhöht werden. Allerdings fiel die Wahl auf eine “unglückliche” Frequenz. Einerseits wurde sie von einem anderen Sender überlagert, andererseits erzeugte die Ausstrahlung Konflikte für andere Sender und die erwartete Gesamtverbreitung wurde nicht erreicht.

Eine andere freie Frequenz sollte es nun richten. Ein halbes Jahr vor dem endgültigen Ende des Monopols der Verbreitung von Rundfunksignalen, zunächst durch die Deutsche Post, später durch die ausgegründete Firma Media-Broadcast, konnten sich nun auch andere Firmen für den Betrieb der UKW-Antenne mit eigenen Sendern bewerben. Mitte des Jahres 2015 sollte die Umstellung erfolgen. Das Bürgerradio lud bei schönem Sommerwetter zu einem kleinen Bürgerfest. Am frühen Nachmittag des Tages war dann auch einmal auf der neuen Frequenz etwas zu hören. Aber dann: Stille bzw. Rauschen! Die Fa. Media-Broadcast weigerte sich nach entsprechenden technischen Messungen, das Signal vom neuen Sender der Firma uplink weiter auf die UKW-Antenne durchzulassen, welche sich weiterhin im Besitz der Media Broadcast befand.

Wer zu spät kommt…

Gorbatschow soll diesen viel zitierten Satz so nie gesagt haben. Aber trotzdem - könnte er hier zutreffen? Was für Diskussionen gab es an dem Tag und in den darauf folgenden Monaten! Keine UKW-Verbreitung - undenkbar! Die “Empörungswelle” über den UKW-Blackout kann und konnte ich nicht so recht nachvollziehen! War es nicht ein Vorbote dessen, was sich bereits lange abzeichnete?

Festhalten an Gewohnheiten, oder Digitalisierung aktiv gestalten?

Seit der Umwandlung des Offenen Fernsehkanals zum Bürgerradio entwickelte ich Admin-SRB, eine umfangreiche Open Source Software zur Administration und Sendeabwicklung. ZunÄchst analysierte ich die ArbeitsablÄufe von der Planung über die Produktion bis hin zur Sendung. Durch die Software wurden diese standardisiert und ermöglichten ein entsprechendes QualitÄtsmanagement des Radio- und Studioalltages. Das ging einher mit der Entwicklung von Modulen, die fehleranfÄllige Handarbeit erübrigten. Je größer die Automationsmöglichkeiten wurden, umso mehr Raum gab es für die inhaltliche Arbeit. Aber es wurde auch deutlich, welche Einschränkungen die UKW-Verbreitung bedeutet. Zwar wird und wurde immer wieder vom Digital-Radio gesprochen. Aber hat DAB+ wirklich etwas mit Digitalisierung und ihren tatsächlichen Möglichkeiten zu tun?

Exkurs

Es zeigte sich durch die Umwandlung vom Offenen Fernsehkanal zum Bürgerradio, dass der Verlust des Bildes gegenüber der transportierten Ansicht, Meinung und Information im Äther durchaus verschmerzbar war. Brecht wünschte einst: “Das Radio wird zum Sprecher und Medium in einem”. Doch, kann die von Brecht erhoffte HöreraktivitÄt erreicht werden? 1932 musste er feststellen “Undurchführbar in dieser Gesellschaftsordnung, durchführbar in einer anderen, dienen die Vorschläge, welche doch nur eine natürliche Konsequenz der technischen Entwicklung bilden, der Propagierung und Form dieser anderen Ordnung.” Die Gesellschaftsordnung hat sich längst geändert. Die Technik hat sich längst geändert. Die Eröffnung des Radios in Saalfeld fiel in die Zeit, in der längst jeder via Internet zum Sender werden konnte.

Ist die “andere Ordnung” als Konsequenz der technischen Entwicklung erreicht worden? Eines der Software-Module ermöglicht z.B. nach entsprechender, einmaliger Konfiguration das “Einwerfen” einer Audiodatei am Ort X um sie über den UKW-Sender am Ort Y auszustrahlen, ohne weitere Personalressourcen verschwenden zu müssen. Eine Möglichkeit der Zusammenarbeit unter den Bürgersendern, Austausch von Information und Teilhabe an der lokalen Problemlage, um sie auf eine andere Stufe stellen zu können. Aber sind die lokalen Sender, die Bürger wirklich daran interessiert, eigene Befindlichkeiten zu teilen und an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten? Hat man die Fähigkeit über den Tellerrand zu schauen? Hat das Bürgerradio heute die entsprechende personelle Basis um dem zum Radio gewordenen Internet gewachsen zu sein? Hätte Brecht im Zeitalter des Internet gelebt, hätte er im “aufhaltsamen Aufstieg des Arturo” vielleicht die Trägheit und Ergebenheit gegenüber der unvermeidlich hereinbrechenden Digitalisierung thematisiert?

Realität?

Gesellschaftliche Entwicklung ist im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr ohne Technologie, ohne Software denkbar! Aber ist man im Radio wirklich an einer Weiterentwicklung interessiert? Schließlich ist es vielleicht überhaupt das Älteste elektronische Medium. Was will man da noch weiterentwickeln? Kann der Bürgerfunk seinem Auftrag, in der sich rasant Ändernden Welt überhaupt noch gerecht werden? Sind Technik und Software noch zu trennen von Meinung, Fake News und deren Konsequenzen?

Bürgerfunk als ein Innovationstreiber des demokratischen Engagements und Ort der Medienkompetenzvermittlung?

Wichtige Medienpädagogische Arbeit findet in Thüringen im Bürgerfunk und der Medienwerkstatt der TLM statt. Gerade auf dem Gebiet der Medienpädogogik wurde Enormes geleistet! Jedoch, ist Medienkompetentzvermittelung ausreichender und fester Bestandteil der flächendeckenden schulischen Bildung! Gibt es im Bürgerfunk eine ausreichend personelle Basis für Medienpädagogig UND redaktionelle Arbeit? Oder muss man Situationsbedingt auf beiden Seiten “hinken”? Kann man mit dieser Konstellation im Bürgerfunk den Herausforderungen der rasanten technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht werden?

Bürgerfunk als Demokratisierungsfeld zur Selbstermächtigung?

Wird die immer stärkere Vereinnahmung gesellschaftlicher Prozesse durch Technologiekonzerne im Bürgerfunk überhaupt wahrgenommen und dem entsprechend Rechnung getragen? Steht das Radio nicht vor einer ähnlichen Herausforderung durch die Digitalisierung wie die Verlage?

Kann das Radio bestehen, wenn es sich an die alten Sendemasten klammert?

UKW hat technisch gesehen unbestreitbare Vorteile. Aber, sind diese nicht längst durch die technische Entwicklung überholt? Wurden und werden da nicht Scheingefechte ausgetragen, die übersehen, dass die wirkliche “Gefahr” für UKW-Radios von ganz anderer Seite ausgeht? Nicht nur vernünftige Internetanbindung und Streaming, sondern die intelligente Nutzung der neuen technischen Möglichkeiten gehören dazu genauso, wie Digitalkompetenzvermittelung nicht nur für Jugendliche.

Aber selbst der Tagelange Blackout schien nicht deutlich zu machen, dass dies lediglich der Vorbote für grundlegende Herausforderungen sein könnte, die dem Radio noch bevorstehen. Ein, dem Begriff wirklich gerecht werdender, Qualitätsentwicklungsprozess hätte vielleicht förderlich sein können. Aber vielleicht war die Zeit einfach noch nicht reif. Oder wie sagte Brecht? “Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.” Und da frage ich mich manchmal, will das der “Hörer” oder der Bürger von heute überhaupt? Vielleicht will der Eine einfach nur Sender sein und der Andere sich nur berieseln lassen.

Chance ergriffen? Oder Blackout?

Ergänzt 2019-01

This article was updated on January 15, 2022